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SEITE 24 FREITAG, 30.

SEITE 24 FREITAG, 30. NOVEMBER 2018 Ein Glücksrezept, … und in der Mitte das Lebens besonders beachtet w Der Neurologie-Professor beantwortet Fragen von Marlis T Foto: Christian Charisius „Es ist nur eine Phase, Hase“ wird in einem aktuellen Bestseller behauptet, der ein „Trostbuch für Alterspubertierende“ sein will. Alterspubertierende treibt es demnach zum Kitesurfen oder Marathon oder zu spiritueller Selbstfindung. Woran liegt so etwas? Der Begriff „Alterspubertierende“ kann nur als Scherz gemeint sein, er ist wissenschaftlich gesehen nicht seriös zu diskutieren. Unter Pubertät versteht man den Teil des Erwachsenwerdens, in dem es zur Geschlechtsreifung kommt. Dieses Kapitel ist bei dem Personenkreis, der Anfälligkeiten für eine Midlife-Crisis zeigt, längst abgeschlossen. Die genannten Aktivitäten – spirituelle Selbstfindung, Marathonlauf oder Kitesurfen – sind Zeichen einer Auseinandersetzung mit der gegebenen Alterssituation und nicht generell abzulehnen. Woher stammt überhaupt der Begriff Midlife-Crisis? Der Begriff stammt aus der Psychoanalyse und beschreibt einen häufigen Einschnitt in der Mitte des Lebens, begleitet von Grübelneigung, einer negativen Sicht der Dinge und Unzufriedenheit mit dem Leben, so wie es ist. Wer ist besonders anfällig für so ein Stimmungstief? Studien haben gezeigt, dass Menschen mittleren Alters, also in der Zeit zwischen 35 und 55 Jahren, sich weniger glücklich fühlen als jüngere aber auch als ältere Menschen. Di Ursachen sind einerseits biologisch Faktoren: zum Beispiel die beginnen de hormonelle Umstellung, die übr gens Mann und Frau gleichermaße betrifft. Andererseits wächst das Be wusstsein, dass die körperliche un geistige Leistungsfähigkeit schwin det. Parallel dazu kommt bei viele Menschen in diesem Lebensabschnit das Gefühl auf, in der Alltagsroutin zu ersticken, und der Wunsch keim auf, etwas völlig Neues zu erleben Das Verblüffende ist, dass wir ähnl che Prozesse auch aus dem Tierreich kennen. Eine tierische Midlife-Crisis! Wie das? Wärter und Pfleger von 508 Orang Utans und Schimpansen in mehrere Zoos wurden aufgefordert, ihre Be obachtung der Affen zu registrieren Gefragt wurde nach der Stimmun der Tiere, ob sie nach Meinung de Personals Freude am sozialen Kontak zur Gruppe hatten und bei Aktivitä ten und deren Umsetzung erfolgreic waren. Das Ergebnis war die gleich U-förmige Kurve wie beim Mensche – übrigens ohne Geschlechtsunter schied: Weibliche und männlich Großaffen hatten gleichermaßen einen Glücksdurchhänger im mitt leren Alter. Damit darf man es al erwiesen betrachten, dass es auch biologische Ursachen für den Abfal Was sind die besten Jahre? reporter und Johanna Horak (27 Jahre) Jungsein ist toll Gerald Bahr (35 Jahre) Irgendwas ist immer Die besten Jahre im Leben eines Menschen? Die Frage klingt nach einer harten Nuss, schließlich kann ich ja mit Ende 20 noch gar nicht auf allzu viele Erfahrungen zurückgreifen. Und doch habe ich mich in ähnlicher Form durchaus schon mal mit dem Thema beschäftigt, denn mit 27 bin ich mittlerweile näher an der 30 als an der 20. Diese Tatsache ist aber nichts, was mir schlaflose Nächte bereitet, ich kann es sowieso nicht ändern. Ganz grundlegend ist für mich aber schon mal klar: Jung sein ist toll. Warum? Weil man morgens aufsteht und nichts weh tut; weil das Gesicht noch weitestgehend frei ist von Falten; und weil der Körper mit einer kurzen Nacht ebenso zuverlässig und schnell fertig wird wie mit einem ausgewachsenen Kater. Alles eher oberflächlich, mag sein, dennoch angenehm. Darüber hinaus sind die Jahre von 20 bis 30 vor allem deshalb toll, weil wahnsinnig viel Neues passiert. Man zieht von zu Hause aus, steht das erste Mal auf eigenen Beinen, muss sich beim Studium oder in der Ausbildung behaupten, nebenbei noch den Kühlschrank füllen und all das, ohne die sozialen Kontakte zu vernachlässigen. Man lernt sich selbst ganz neu kennen Foto: Ulrike Kielmann und begibt sich langsam aber sicher in die Welt der Erwachsenen. Ist diese jedoch bisweilen noch zu überwältigend oder gar gemein, kann man sich guten Gewissens zurück in die elterliche Fürsorge flüchten. Guter Rat kostet nichts, das überzogene Konto von den Eltern ausgleichen zu lassen, kostet hingegen ein bisschen Stolz. Ein weiterer Vorteil – gerade wenn man sich statt für eine Ausbildung für das Studieren entschieden hat – ist die Freizeit. Klar haben auch Studenten viel zu tun, aber oftmals lässt sich das trotzdem mit einem spontanen Wochenendausflug nach Rom verbinden. Auslandsaufenthalte sind mittlerweile meistens Pflicht an der Uni und wenn nicht, kann man sie sich selbst als eine solche auferlegen. Denn: Steht man erst einmal im Berufsleben, ist an kurzentschlossenes oder monatelanges Reisen nicht mehr ohne Weiteres zu denken. Ebenfalls für die 20er spricht die Tatsache, dass junge Menschen viel öfter mit weniger zufrieden sind als ältere. Klar, oft haben sie noch kein geregeltes Einkommen, leben von Bafög oder dem, was Nebenjobs abwerfen, und kennen es eben nicht anders. Doch sind es nicht die kleinen Sachen, wie Grillen am See oder Spieleabende mit Freunden, die glücklich machen? Es muss nicht immer alles perfekt laufen, und es muss auch nicht das Vier-Sterne- Hotel sein. So was, so scheint es mir zumindest, verlernen einige mit zunehmendem Alter und Einkommen. Natürlich ist es bekanntlich so: Man mag, was man kennt. Wohl auch deshalb liegt es nahe, dass ich hier ein Plädoyer dafür schreibe, dass die Zeit zwischen 20 und 30 die beste ist. Doch vielleicht stelle in zehn Jahren fest, dass es Ü30 auch gar nicht so übel ist, wenngleich sich jetzt schon noch eine leichte Gänsehaut auf meinem Rücken ausbereitet, wenn ich an meinen 30. Geburtstag denke. Ich glaube, dass jedes Jahr(zehnt) im Leben eines Menschen das Potenzial bietet, gut, besser, womöglich gar das beste zu werden, sofern man es will und zulässt. Zumindest hoffe ich darauf. „Irgendwas ist immer“ — diesen Satz kennt wohl jeder als Antwort auf die Frage, wie es denn gerade so geht. Oder eben auf die Frage, was die besten Jahre im Leben sind. Denn egal welche Altersgruppe man nun fragt— Teenager, Studenten, Männer und Frauen im mittleren Alter oder Senioren – irgendwas ist ja immer nicht okay. Wie soll man denn da abwägen, was die besten Jahre sein könnten? Jeder Lebensabschnitt hat doch seine Vor- und Nachteile. Vor allem impliziert „der beste Lebensabschnitt“ ja auch, dass es einen schlechtesten gibt. Ich bin jetzt 35, also genau in dem Alter, das offenbar viele Menschen zu den besten Jahren zählen würden. Eben das macht mich nun zur Zielscheibe meiner Kollegen, die mir mit dieser doofen Frage auf die Pelle rücken, obwohl sie mir — offen gesagt — völlig Banane ist. Klingt griesgrämig? Soll es nicht. Denn ich bin zufrieden, bin seit 14 Jahren mit meiner Partnerin zusammen und habe einen Job, der mir Spaß macht. Was fehlt? Zeit und eine gewisse Freiheit, einfach in den Tag hineinzuleben. Ich hätte vor zehn Jahren als Student nicht gedacht, dass mir das irgendwann mal fehlen würde, aber jetzt ist es tatsächlich so. Damals — schon Foto: Ulrike Kielmann das klingt von einem 35-Jährigen irgendwie verkehrt — hatte ich Zeit und Freiheit, aber war ein Pleitegeier mit Nebenjobs, um mich über Wasser halten und Miete, Essen, Trinken und so weiter bezahlen zu können. Es hat aber Spaß gemacht, mehr oder minder tun zu können, was ich will. Außer eben das, wozu man dann doch ein bisschen Geld braucht. Das geht jetzt, nur fehlen die Zeit und der Luxus, sich morgens einfach mal spontan aus dem Alltag auszuklinken und irgendwohin zu fahren. Meine Chefs würden das ganz sicher nicht so toll finden. Und dann sind da ja auch ein paar Sorgen, wie es im Alter mal werden soll. Reicht die Rente, oder fällt der Politik etwas ein, damit es doch eng wird? Wie lange muss ich überhaupt arbeiten? 67 ist eine stolze Zahl, wo ich doch gerade mal etwas über die Halbzeit bin. Eine mögliche Lösung für das Dilemma: Einfach alle Befürchtungen ignorieren und sich doch auf das Rentenalter freuen. Zumindest Zeit hätte ich dann vermutlich genug, bestenfalls auch eine anständige Rente. Aber irgendwas ist ja immer. Oder etwas fehlt, vielleicht die Gesundheit. Es muss gar nichts Schlimmes sein, doch der Körper lässt nach, man wird langsam, sieht nicht mehr so gut, irgendwo zwickt und zwackt es immer, der Ständer wird zum Hänger... Für jemanden, der sein Leben lang, sein bisheriges Leben lang (!), gerne und viel Sport getrieben hat, keine schöne Vorstellung. War womöglich die Zeit als Teenager die beste? Man lebte bei den Eltern, hatte einigermaßen Zeit, eventuell einen Job, um das Taschengeld aufzubessern, brauchte sich aber insgesamt wenig Sorgen über die Zukunft zu machen. Es war noch nicht so weit, dass schwerwiegende Entscheidungen getroffen werden mussten. Keine Sorgen hieß damals aber auch wenig Freiheit. Schließlich streckte man die Füße nicht unter den eigenen Tisch. Am Ende sind alle Jahre die besten, je nachdem, was man im jeweiligen Lebensabschnitt gerade als wichtig empfindet. Und irgendwas ist immer.

SEITE 25 das immer gilt ... erden muss, kennt der Hirnforscher Christof Kessler. autz zur Midlife-Crisis und verrät, was ihn glücklich macht. , e e - i- n - d - n t e t . i- - n - . g s t - h e n - e - s l an Lebensfreude und die Krise im mittleren Lebensalter gibt. Sind Frauen und Männer gleichermaßen davon betroffen? Der Begriff Midlife-Crisis wird vorwiegend bei Männern in der Lebensmitte verwendet. Denken Sie an das Klischee „nimmt sich eine wesentlich jüngere Freundin und kauft eine Harley Davidson“. Dabei kommen die gleichen Krisensymptome natürlich auch bei Frauen in diesem Alter auf. Männer mit Anfang 50 sind, so zeigen Untersuchungen, mit ihrem Leben zufriedener und glücklicher als Frauen. Dagegen fühlten sich junge Frauen wiederum generell glücklicher als junge Männer. Erst mit dem Älterwerden wendet sich das Blatt. Im Hinblick auf die typische Glückskurve mit dem Tiefpunkt in der Lebensmitte gibt es allerdings keinen Unterschied zwischen Männern und Frauen. Das heißt ja, Menschen in der Midlife-Crisis sollten aufs Alter hoffen. Wie lange kann das Tief denn dauern? Man geht davon aus, dass die Zufriedenheitskurve jenseits des 45. Lebensjahrs wieder ansteigt. Das Gehirn stellt sich um: vom Angriffsund Kampfmodus der jugendlichen Sturm-und-Drang-Zeit auf den etwas beschaulicheren Funktionsstand des beginnenden Alters. Es verändert sich, das Hirnvolumen und die Zahl der Nervenzellen nehmen ab, vor allem in den Gehirnanteilen, die für Gedächtnis und Problemverarbeitung zuständig sind. Die Umstellung der Produktion männlicher oder weiblicher Sexualhormone in den mittleren Jahren hat ebenfalls seine Auswirkungen auf Struktur und Funktionsweise des Gehirns. Sexualhormone haben allgemein einen schützenden Effekt auf das Nervensystem und verhindern den Verlust von Nervenzellen. Das heißt im Klartext: Mit einem letzten Aufbäumen in Form der Midlife-Crisis wird das Gehirn vom Kampf- in den Arzt und Autor Ruhe-Modus umgestellt. Das erklärt, warum viele Menschen zwischen dem 35. und 55 Lebensjahr eher unglücklich sind, aber jenseits der 60 die Frage „Sind Sie glücklich?“ bejahen. Wie lässt sich vermeiden, mit zunehmendem Alter mehr und mehr zum sprichwörtlichen Griesgram zu werden? Ein Griesgram kann man einerseits aufgrund schlechter Erfahrungen mit seinen Mitmenschen werden, aus psychologischen Gründen also, aber auch aufgrund altersbedingter Veränderungen des Gehirns. Zum Beispiel Professor Christof Kessler (Jahrgang 1950) lebt und arbeitet in Greifswald. Von 1994 bis 2016 hatte er den Lehrstuhl für Neurologie am Universitätsklinikum der Hansestadt inne. 2017 gründete er eine Privat- und Gutachtenpraxis. In seinen Bücher „Wahn“ und „Männer, die in Schränken sitzen“ schreibt der Neurowissenschaftler auf ebenso lehrreiche wie unterhaltsame Weise über Menschen mit Hirnerkrankungen, die erkennen müssen, Professor Christof Kessler dass nicht die Welt sondern ihr Ich sich verändert hat. Zuletzt erschien im C. Bertelsmann Verlag das Buch „Glücksgefühle – Wie im Gehirn Glück entsteht“. Es war für den Preis des besten Wissenschaftsbuches 2018 nominiert. Foto: privat sind Menschen mit einem schlecht behandelten hohen Blutdruck oder auch Raucher in Gefahr, eine „Mikroangiopathie“ des Gehirns zu bekommen (eine Erkrankung der kleinen Blutgefäße, die Red.). Sie geht mit Durchblutungsstörungen des Gehirns einher. Die Folge ist ein Schwund an Gehirnmasse. Das äußert sich vor allem in Form einer Wesensänderung: Die Menschen werden vergesslich, misstrauisch, gereizt und geistig unflexibel. Solch eine Veränderung kann verhindert werden, wenn die Risikofaktoren für Schlaganfall und Herzinfarkt, also Hypertonus, Blutfette, Rauchen, mangelnde Bewegung und Übergewicht, beachtet werden. Das führt zu einer generellen Prophylaxe von Griesgrämigkeit. Körperliche Bewegung, gute soziale Kontakte im Freundeskreis und in Vereinen und gesunde Ernährung helfen zusätzlich. Wann ist die Grenze von allgemeiner Verstimmung zu einer möglicherweise behandlungsbedürftigen Erkrankung überschritten? Abzugrenzen ist die Midlife-Crisis von der klinisch relevanten Depression. Bei dieser Diagnose gibt es aber feste Kriterien, die die meisten Ärzte kennen: Traurigkeit, die von innen kommt, und nicht logisch nachvollzogen werden kann, ferner Antriebsund Interessenlosigkeit, Verlust an Genussfähigkeit und Schuldgefühle mit geringem Selbstwertgefühl. Das sind eindeutig nicht die Symptome einer Midlife-Crisis. Auf der anderen Seite des Spektrums müssen wir die „Manie“ unterscheiden, die sich häufig mit der Depression abwechselt. Sie äußert sich in einer Art von Besessenheit und in dem Zwang, Dinge zu tun, die nicht logisch sind, verbunden mit Selbstüberschätzung bei stark erregtem Gemütszustand. Wodurch kann sich der Mensch „mitten im Leben“ glücklich und erfüllt fühlen? Es gibt ein allgemeines Glücks-Rezept, das unabhängig vom Alter gilt, aber ganz besonders in dem Lebensabschnitt, in dem man für die Midlife- Crisis anfällig ist, beachtet werden sollte. Es geht um körperliche Aktivität, um das Festhalten an sozialen Beziehungen, um Hobbys, das können geistige oder auch handwerkliche Aktivitäten sein. Günstig sind zudem gesundes Essen, das Meiden von Fast Food und Fertiggerichten. Dann bleibt man gesund und glücklich. Verraten Sie Ihr persönliches Glücks- oder Wohlfühlrezept? Ich gehe dreimal in der Woche zum Sport, danach fühle ich mich enorm wohl und entspannt. Ich lese viel und genieße es, mit Freunden und Familie zusammen zu sein. Kontakt zur Autorin m.tautz@nordkurier.de Reporterinnen Unserer Zeitung geben Antwort Claudia Marsal (49 Jahre) Die 9 hat alles verändert Thomas Beigang (58 Jahre) Zurück auf Start? Nein danke! Neun Jahre lang war ich fest überzeugt, mitten drin zu stecken im geilsten Jahrzehnt meines Lebens. Schon vor dem runden Geburtstag hatte ich stolz die 40 genannt, wenn mich jemand nach dem Alter fragte. Voll die emanzipierte, taffe Frau. Wer hat schon Angst vorm Älterwerden? 40 ist die neue 30! Ich liebe jede Falte und jedes Gramm an mir! Mit Sprüchen wie diesen raste ich seither durchs Leben. Wildwasserrafting, Bergwandern, Motorradfahren, Strandschlafen — ich wagte alles und nahm alles mit. In der seligen Gewissheit, endlich da angekommen zu sein, wo ich immer sein wollte. Beruflich wie privat. Drei gesunde, kluge Kinder; endlich ein Partner, der mich so nahm, wie ich bin; seit 31 Jahren in einem Job, der mich erfüllt; wenig materielle Sorgen und noch weniger gesundheitliche Malaisen. Von den Zeichen der Zeit im Gesicht, einer Fernbrille und in paar Pfunden zu viel auf Hüften und Po mal abgesehen... Doch dann stand plötzlich eine 9 hinter der 4 und alles änderte sich. Quasi über Nacht landete ich vom Himmel-hoch-jauchzend im Zu-Tode-betrübt. Ein paar Wochen zuvor hatte ich noch schallend gelacht, als mein kleiner Sohn in der Schule Foto: Privat behauptet hatte, dass seine Mutter im 19. Jahrhundert geboren ist. Ja klar, 1969. Woher hätte er denn wissen sollen, dass man das anders sagt. Doch seit dem 9. Februar 2018 bleibt mir bei Bemerkungen dieser Art das Lachen im Halse stecken. Die nun nahende nächste Kerzenzahl auf der Torte jagt mir Tag für Tag aufs Neue einen gewaltigen Schrecken ein. Ich habe plötzlich Angst vorm Alter und vorm Altwerden bekommen. Obwohl von außen besehen alles beim Alten geblieben ist. Hatte ich vorher noch Geschichten über Midlife-Crises-geplagte Menschen ins Lächerliche gezogen, erkenne ich nun überall Leidensgenossen. Ich entwickle Verständnis für jeden, der an diesem Punkt noch einmal alles umkrempeln will. „Nur zu“, möchte ich schreien. „Wer weiß, wie viel Zeit noch bleibt.“ Dabei weiß ich in meinem konkreten Fall ja gar nicht, was ich denn ändern wöllte. Doch allein die Tatsache, dass in drei Monaten schon der Sprung ins SECHSTE Lebensjahrzehnt ansteht, lässt mich erschaudern. Es ist nicht die Angst, etwas verpasst zu haben. Es gab in meinem Leben wenig, das ich ausgelassen habe — im Guten wie im Schlechten. Bis auf Drogen vielleicht, davor hat mich vermutlich die Jugend in der DDR bewahrt. Was mich entsetzt, ist vielmehr das Bewusstsein, wie viel Leben schon vorbei ist, und wie wenig rein rechnerisch noch bleibt. Ich bin mitten drin im letzten Drittel. So eine Scheiße! Das Schreckgespenst des 50. Geburtstages hat sich mittlerweile zu furchteinflößender Größe aufgetürmt. Zum Entsetzen aller habe ich deshalb verkündet, dass es nach meinen rauschenden Festen zum 20., 30. und 40. Jubiläum diesmal keine Feier geben wird. Ich werde mich an diesem Tag verkriechen und hoffen, dass am Morgen danach die alte Claudia wieder erwacht. Die, die zu schätzen weiß, dass es das Schicksal bis jetzt überaus gut gemeint hat mit ihr. Und die sich mit der ihr eigenen unbändigen Lust aufs Leben endlich wieder in selbiges stürzt. Volle Pulle! Alle Kraft voraus! Das linke Knie zieht. Früher habe ich dieses Körperteil und sein rechtes Pendant kaum wahrgenommen. Die waren eben da und funktionierten. Heute, besonders frühmorgens, wenn ich mich zwei Minuten nach dem Aufstehen die drei Treppen zum Briefkasten runterschleppe, zieht das Knie. Oder besser, es zieht im Knie. Noch gelingt mir die Verdrängung, meistens macht das Gelenk dann tagsüber auch keinen Ärger mehr. Wer weiß schon, was künftig wird. Nur wenig Trost bietet die Nachricht, die orthopädische Klinik in Altentreptow hat sich gerade wieder Bestnoten verdient. An Knien wie meinem, vermute ich mal. Aber ob es sich wegen des linken Knies lohnen würde, in einen Jungbrunnen zu steigen, der die Zeit um, sagen wir mal 20 Jahre, zurückdrehen könnte? Um Gottes Willen, nein. Vor zwei Jahrzehnten pubertierte meine Älteste, die Jüngste musste x-Mal in der Woche zum Training gefahren und wieder abgeholt werden, und ich saß ganz oft auf langweiligen Elternversammlungen rum. Außerdem würden, wäre ich wieder so jung wie damals, noch fast 30 Jahre Arbeit auf mich warten bis zum Ruhestand. Andere Kollegen vor mir, die zu ihrer Zeit so alt Foto: Nicole Weihmann waren wie ich jetzt, durften sich begeistert in den Vor- Ruhestand stürzen, weil sie die Chance zur Altersteilzeit oder wie das hieß, ergriffen haben. Das gilt jetzt nicht mehr, aber das ist schon wieder eine andere unerfreuliche Geschichte. Wenn der 60. Geburtstag nicht mehr so weit entfernt ist wie noch vor Jahren, beginnt man auch ab und an die Ruhe zu schätzen. Ich jedenfalls versuche — so weit wie es im praktischen Leben eben geht — Ansammlungen vieler Menschen zu meiden, Durcheinandergerede gerät zu fast unerträglicher Pein, und nur noch mit äußerster Höflichkeit gelingt es mir, Leute auszuhalten, die viel reden, aber wenig zu sagen haben. Mehr Sein als Schein, dies Leitmotiv gefällt mir immer besser, je älter ich werde. Und von wegen Altersdemut oder Altersnachsicht! Das Gegenteil — verflixt! — hält mich in den Klauen. Kaum zu ertragen für mich fortgeschrittenen 50er sind zur Schau gestellte Dummheiten und Böswilligkeiten. Und trotzdem: Nee, bitte mich nicht jünger machen. Auch weil, jetzt reden wir mal übers Intime, die Bestien der Vergangenheit nicht mehr im gleichen Maße peinigen wie dereinst. Die begnügen sich jetzt auch schon mal mit der Tatsache, brav angeleint und ohne Zähnefletschereien ihr Dasein auszuhalten. Man(n) hat jetzt mehr Zeit für die wirklich wichtigen Dinge. (Hihi, ganz bierernst gemeint ist DAS jetzt aber nicht, um Missverständnisse gleich aus dem Weg zu räumen). In meinem Alter genießt man anders — und andere Dinge. Zum Beispiel jene höchst erfreuliche Tatsache, viel von den eigenen Kindern zu lernen. Eben von jenen, für die man gerade noch wie Gott war. Heute quatscht man mit denen auf Augenhöhe. Was für ein Glück! Abgesehen von den kleinen „Geschenken“: Enkel oder/und Enkelinnen zu „besitzen“. Vieles, Leute, ist wie mit den eigenen Kindern früher, aber doch ganz anders. Diese Lütten sind der wahre Jungbrunnen, da kann man meinetwegen den anderen, der die ewige Jugend verheißen will, zuschütten.

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