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Nordkurier Ratgeber Mit 66 Jahren (Ausgabe UKK)

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SEITE 6 FREITAG, 31. MAI

SEITE 6 FREITAG, 31. MAI 2019 Über die Grenze Senioren genießen ihren Lebensab polnischen Ostsee statt in der deuts Eine Seniorenresidenz bei Kolberg lockt deutsche Rentner insbesondere mit günstigen Preisen. Doch die Anlage mit der Nähe zum Meer hat auch noch einiges anderes zu bieten. Von Frank Wilhelm Kolberg. Elisabeth Habicht hat es sich mit Christoph Dreyer bequem gemacht. Die 83-Jährige hat ein Käffchen gekocht. Schokolade liegt auf dem Tisch. Gemeinsam schauen sich die beiden alte Fotoalben an. In Erinnerungen schwelgen, erzählen und das Leben ohne Verpflichtungen genießen. Was man halt so macht in einer Seniorenresidenz. Elisabeth Habicht stammt aus Wetter an der Ruhr, Christoph Dreyer aus Hamburg. Beide treffen sich zum Kaffeekränzchen aber nicht in einem Altenheim irgendwo in Deutschland. Sie plauschen in der Seniorenresidenz Erania in Malechowo, einem Ort an der polnischen Ostseeküste, etwa zehn Kilometer östlich von Kolberg (Kołobrzeg) gelegen. Einen großen hellen Raum mit einem kleinen Balkon und einem separaten, altersgerechten Bad nennt Elisabeth Habicht ihr eigen. Eine Küchenzeile findet sich an der einen Stirnwand, gegenüber steht eine Schrankwand, die der Sohn besorgt hat. Der Fernseher dudelt nebenbei, das ZDF-Mittagsmagazin. Mehr als acht Stunden bräuchte man mit dem Auto für die gut 800 Kilometer in ihre alte Heimat. Doch Heimweh scheint die rüstige Seniorin nicht zu kennen, was wohl auch an den letzten Jahren in Deutschland lag: Sie hat viel Kraft und Lebensmut aufgebracht, um den eigenen Mann zu pflegen, der vor einigen Jahr starb. Als sie vor gut zwei Jahren selbst ins Heim musste, erlebte sie ein Fiasko: „Ein kleines Zimmer, ein schlimmer Umgangston, und alles sehr, sehr teuer. Es war schlimm.“ Für ihren Sohn habe damals festgestanden: „Hier bleibst Du auf keinen Fall!“ Nach sechs Wochen zog sie aus. Der Sohn war im Internet auf die Erania-Einrichtung gestoßen und meinte, probieren geht über studieren. Lebenslanges Lernen: 83-Jährige büffelt Polnisch So machte er sich mit seiner Mutter auf die lange Reise, erst einmal zum Probewohnen. Das, so sagt Marketing-Mitarbeiterin Joanna Bartnik, Joanna Bartnik kennt jeden Bewohner der Residenz persönlich, auch Horst Kain aus Berlin. Fotos (3): FRANK Wilhelm biete das Heim künftigen Bewohnern an. Unverbindlich für ein oder zwei Wochen. Elisabeth Habicht brauchte weniger als eine Stunde, um zu wissen: „Ich bleibe hier!“ Mittlerweile lernt sie sogar Polnisch, um bei den Ausflügen ins nahe Kolberg oder an die Ostsee ein wenig Smalltalk betreiben zu können. Ein bisschen ist die lebensfrohe Seniorin auch wieder zurück in die alte Heimat gekommen. Bevor ihre Familie 1945 floh, lebte sie in Oberschlesien. „Ich bin hier wieder aufgeblüht.“ Elisabeth Habicht bei Kaffeeplausch mit Christoph Dreyer. Große Zimmer und moderne Ausstattung – so umwirbt Erania deutsche Senioren. 90 Prozent der Bewohner der Seniorenresidenz Erania kommen wie Elisabeth Habicht aus Deutschland, die anderen aus Polen. Bayern, Nordrhein-Westfalen, das Land Brandenburg, Berlin zählt Joanna Bartnik in einem sehr guten Deutsch auf. Mit Blick auf die Zielgruppe werde von allen Mitarbeitern verlangt, der deutschen Sprache mächtig zu sein. Die Einrichtung umwirbt ihre potenziellen Bewohner mit großzügig geschnittenen Zimmern, einem Bevor die mehrere Hektar große Anlage zur Seniorenresidenz wurde, gab es hier in Osts riesigen, mehrere Hektar großen Gelände, der schönen Lage wenige Kilometer vom Ostseestrand entfernt und einer modernen Ausstattung, wozu unter anderem ein kleines Schwimmbad und ein Sportraum gehören. Ein Physiotherapeut ist permanent vor Ort. Ein Allgemeinarzt bietet einmal die Woche eine Sprechstunde an. Vor allem aber ist es der Preis, mit dem der polnische Träger schon auf der Internetseite gezielt um deutsche Bewohner wirbt. „Die Kosten für ein Altenheim in Deutschland variieren von 2500 Euro bis zu 3300 Euro pro Monat. Diese Summen übersteigen die Leistungen der Pflegekasse und die Renten älterer Menschen. Senioren sowie ihre Angehörigen müssen schon jetzt nach alternativen Lösungen suchen“, ist da zu lesen. Als Alternative bietet sich Erania wenige Zeilen weiter selbst an: „Zu überraschend niedrigen Preisen erhalten sie bei ihrem östlichen Nachbarn die bestmögliche Pflege und hohe

SEITE 7 Foto: JuSTyna JAROS-ROKICZAN Tipps zum Ruhestand im Ausland end an der chen Heimat eenähe ein Hotel. Lebensstandards. Sie müssen ihre Verwandten nicht finanziell engagieren und können ihren Lebensabend in Sicherheit und wohnlicher Atmosphäre voll genießen.“ Je nach Pflegeaufwand variieren die Kosten, sie liegen aber deutlich unter denen in Deutschland. Angefangen bei 975 Euro bis zu 2000 Euro für das Einzelzimmer und Pflegegrad 5. Trotz dieses überzeugenden Arguments waren die Erania-Betreiber, die eine ehemalige Hotelanlage zum Heim ausbauten, Ende 2015 ein wenig skeptisch, ob sie die 180 Betten wirtschaftlich betreiben könnten. In Sachen Marketing profitiert Erania von der Nähe zu Kolberg. Tausende deutsche Senioren genießen in der Stadt an der Ostsee jedes Jahr einen Kuraufenthalt. In ihren Hotels finden sie die Erania-Prospekte. Viele Interessenten erreicht die Residenz auch über die eigene Webseite im Internet. „Wir haben aber auch Vermittler in Deutschland, die mögliche Kunden ansprechen“, sagt Joanna Bartnik. 80 Prozent der ernsthaften Interessenten würden sich für das Probewohnen entscheiden. Von diesen würden wiederum 80 Prozent bei Erania bleiben. Die Entfernung zur Heimat bereitet auch Probleme Die wirtschaftlichen Erwartungen der Betreiber hätten sich bislang erfüllt, sagt sie. Mittlerweile leben 108 Menschen in der Residenz, bis zum Sommer dürften vier Fünftel der Plätze belegt sein, sagt Joanna Bartnik. Auch der Berliner Horst Kain (83), der mit seiner Frau seit drei Jahren in Malechowo lebt, hat den Schritt über die Grenze nicht bereut. Der Hauptgrund: Der Heimplatz in Deutschland sei viel zu teuer gewesen, sagt er. Was für die Bewohner oft allerdings nicht einfach sei, wäre die Entfernung nach Hause. Dadurch gestalte sich der Kontakt mit der Familie oft schwierig. Viele würden sich mit Telefon und Internet helfen. Zudem verbänden Verwandte den Heimbesuch mit einem Ostseeurlaub, zumal das Heim Gästezimmer anbiete. Elisabeth Habicht hat zwei Söhne, eine Tochter und fünf Enkel. Mit einem der Söhne telefoniert sie jeden Abend. Seine Familie hat sie gerade erst im Mai während eines Urlaubs bei Kolberg besucht. Sie will auf jeden Fall nicht mehr zurück nach Deutschland. „Ich bin hier wieder aufgeblüht. Ich bleibe hier bis zum Tod.“ Kontakt zum Autor f.wilhelm@nordkurier.de Immer mehr Senioren zieht es im Ruhestand ins Ausland. Vor der Abreise gilt es, Einiges zu bedenken. Frank Wilhelm hat wichtige Fragen und Antworten zusammengestellt. Kann ich in jedem Land Rente aus Deutschland beziehen? Ja, auch bei einem Wohnsitz im Ausland erhalten Versicherte ihre Rente monatlich. „Sie kann weiterhin auf ein deutsches Bankkonto oder auf ein Konto im Aufenthaltsstaat gezahlt werden“, erklärte Gundula Sennewald von der Pressestelle der Deutschen Rentenversicherung. Möglicherweise anfallende Bankspesen oder Wechselkursschwankungen müssten Rentner selbst tragen. Was muss ich als Rentner beachten, wenn ich ins Ausland ziehe und meine Rente aus Deutschland überwiesen haben möchte? Rentner, die ihren Wohnsitz ins Ausland verlegen wollen, sollten bereits drei bis vier Monate vorher die Rentenversicherung schriftlich 65 Laut wohnen-im-alter.de gibt es in folgenden Ländern die meisten Einrichtungen für deutsche Senioren: Österreich (65), Schweiz (27), Spanien (26), Polen (25), Thailand (18), Tschechien und Kroatien (jeweils 11). Es auch einzelne Angebote in Sri Lanka und Tunesien. informieren. Neben der Versicherungsnummer, dem beabsichtigten Aufenthaltsstaat und dem Zeitpunkt des Umzuges benötigt die Rentenversicherung die neue Adresse und Zahlungsverbindung, erklärte Gundula Sennewald. Die Rentenversicherung prüfe dann, ob sich ein dauerhafter Umzug ins Zielland auf den Rentenanspruch selbst oder die Höhe der Rente auswirkt. Laufen Kranken- und Pflegeversicherung automatisch weiter? Nicht unbedingt. Der Umzug ins Ausland kann Auswirkungen auf die Kranken- und Pflegeversicherung haben, sagt Sennewald. Das Europarecht regele, in welchem Mitgliedstaat Rentner krankenversichert sind. Deutschland hat mit zahlreichen Ländern ein Sozialversicherungsabkommen abgeschlossen, teilweise aber nur für einzelne Sozial- Versicherungen. Was passiert, wenn es kein Sozialversicherungsabkommen gibt? 1,75 Mio. Rund 1,75 Millionen Renten zahlte die Deutsche Rentenversicherung 2017 ins Ausland. Dies entspricht etwa 6,8 Prozent aller Rentenzahlungen, teilte die Rentenversicherung mit. Im Jahr 2000 lag die Zahl der ins Ausland gezahlten Renten noch bei rund 1,21 Millionen. Dann haben Rentner in dem betreffenden Land keinen Versicherungsschutz in der deutschen gesetzlichen Krankenversicherung, sagt Sennewald. Die Klärung erfolge letztlich durch die zuständige gesetzliche Krankenkasse. „Es empfiehlt sich in jedem Fall, sich vorab persönlich bei der Rentenversicherung und der Krankenkasse zu informieren, inwiefern sich ein Umzug ins Ausland auf den Rentenanspruch selbst oder die Höhe der Rente auswirkt.“ Wie kann ich mich informieren? Es gibt etliche Internetportale mit ausführlichen Informationen über gesetzliche Bestimmungen sowie Angebote für Senioren im Ausland. Unter anderem: www.deutsche-im-ausland.org www.wohnen-im-alter.de www.beste-seniorenheime.de Zudem existiert eine Bundesstelle für Auswanderer und Auslandstätige, die Zweigstellen in verschiedenen Städten hat, unter anderem auch in Hamburg und Berlin. 1,7 Mrd. Die Gesamtsumme der ins Ausland überwiesenen Renten betrug 2017 rund 1,7 Milliarden Euro. Das Gros kommt mit rund 86 Prozent ausländischen Staatsangehörigen zugute, die durch ihre Beiträge an die Rentenversicherung Rentenansprüche erworben haben. Auch ein kleines Schwimmbad gehört zur Seniorenresidenz Erania bei Kolberg. Fotos (3): JuSTyna JAROS-ROKICZAN

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