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Nordkurier Ratgeber Mit 66 Jahren (Ausgabe UKK)

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SEITE 18 FREITAG, 31.

SEITE 18 FREITAG, 31. MAI 2019 Die Insel der Hundertjährigen dem langen Leben auf der Spur Ogimi ist ein kleines Dorf im Norden der japanischen Inselgruppe Okinawa. Es ist ein besonderer Ort, denn hier Die Schweizer Altersforscherin Sabina Misoch hat das Dorf besucht, um mehr über das Geheimnis eines langen Lebens zu er die die Einheimischen dort essen? Oder gibt es andere Gründe? Was sie auf ihrer Forschungsreise herausgefunden hat, erzä Wie kann man sich das Leben in diesem Dorf vorstellen? In Ogimi leben sehr viele hochbetagte Menschen. Ich war in einem Dorfteil mit etwa 510 Einwohnern. Davon waren 100 Menschen zwischen 70 und 90 Jahre alt, 35 Einwohner waren 90 Jahre und älter und fünf waren 100 Jahre und älter. Einen Ruhestand kennen die Einwohner nicht. Das Leben ist sehr agrarisch geprägt. Sie bestellen auch im hohen Alter noch ihren Garten und bauen ihr Gemüse und ihre Früchte an. Und sie kümmern sich umeinander. Der soziale Zusammenhalt und die Anteilnahme sind sehr groß. Werden Frauen und Männer dort gleichermaßen alt? Nein, die Frauen leben wesentlich länger. Ich vermute dafür ähnliche Okinawa ist für seine Bittergurke Goya bekannt. Foto: © eqroy - stock.adobe.com Gründe wie bei uns. Die unterschiedliche Lebenserwartung ist ja auch ein Ergebnis davon, dass Männer risikoreicher leben, später zum Arzt gehen, wenn sie Probleme haben und insgesamt ein schlechteres Gesundheitsbewusstsein haben. Wissenschaftler vermuten schon lange, dass die Ernährung auf Okinawa einen großen Anteil an der langen und guten Gesundheit der Einwohner hat. Wie ernähren sich die Menschen denn dort? Ich muss voranschicken, dass sich mein Forscherkollege Makoto Suzuki damit viel besser auskennt. Er war als junger Mediziner vor gut 40 Jahren auf die Insel gekommen, eigentlich aus einem anderen Grund, und ist eher durch Zufall darauf gestoßen, dass die Menschen dort sehr alt werden. Er hat dann eine Studie begonnen, um herausfinden, was die Ursachen dafür sind. Weil Makoto Suzuki Mediziner ist, haben ihn zuerst die gesundheitlichen Aspekte – wie Genetik und Ernährung – interessiert. Grundsätzlich kann man sagen, dass die Ernährung auf Okinawa sehr speziell ist. Die Menschen essen weniger Fisch als auf der japanischen Hauptinsel Honshu. Stattdessen essen sie viel Algen, viel selbst angebautes Gemüse. Ich persönlich finde das Essen auf Okinawa viel leckerer als das auf Honshu. Es gibt dort Algen, die aussehen wie kleine Weintrauben. Die sind so lecker! Die Menschen essen auch mehr Schweinefleisch, überhaupt mehr Fleisch, als es zum Beispiel in Tokio der Fall ist. Und dann gibt es natürlich auch die berühmte Bittergurke Goya auf Okinawa. Die habe ich auch gegessen. Wie schmeckt sie? Also wenn man sie nicht vorher in Wasser einlegt, schmeckt sie wirklich scheußlich, bitter. Aber sie wird gern mal als Grund gefeiert, warum die Menschen dort so lange leben. Nur ist es eben die Frage, wie viel wirklich Ernährung und wie viel der Lebensstil ausmacht. Sie glauben nicht, dass die Bittergurke das große Geheimnis der Hundertjährigen auf Okinawa ist? Die westliche Welt würde ja alles Erdenkliche essen, wenn sie sicher sind, dadurch lange zu leben. Aber ich glaube, viel entscheidender für ein langes Leben ist die Lebenseinstellung. Deshalb sind Sie auf die Insel gekommen. Sie vermuten im Alltag der Menschen einen weiteren Schlüssel für ein langes Leben. Ja, meine Forschung ist praktisch eine Ergänzung zu der Forschung von Herrn Suzuki. Ich schaue, welche anderen Faktoren neben Ernährung und Genetik noch einen Einfluss auf die Langlebigkeit haben. Was haben Sie herausgefunden? Was ist das Besondere an der Lebenseinstellung der Menschen auf Okinawa? Typisch für die Menschen ist, dass sie sich Zeit lassen. Sie gehen mit Stress anders um, beziehungsweise leben so, dass sie keinen Stress haben. Das führt dazu, dass sich die Japaner auf der Hauptinsel Honshu lustig über die Menschen auf Okinawa machen. Sie halten sie für faul, für Taugenichtse, die den ganzen Tag nichts tun. Die Okinaweser wiederum machen sich lustig über die Tokio-Japaner und sagen, die schuften sich ja regelrecht zu Tode. Die Menschen auf Okinawa haben wirklich einen anderen Umgang mit Zeit. Das sieht man ihnen auch an, sie haben eine gelassene und ganz tolle Ausstrahlung. Und ganz wichtig ist eben auch diese Gemeinschaft im Dorf, die Zugehörigkeit und das soziale Engagement. Auf der Inselgruppe Okinawa leben besonders viele Hochbetagte Menschen. Es gibt auch ein Gemeindezentrum, das eine wichtige Funktion hat. Erzählen Sie mal mehr darüber. Dieses Gemeindezentrum ist ein medizinischer und sozialer Treffpunkt. Die Gemeinde bietet dort einen kostenlosen Gesundheitscheck an, es wird Blutdruck gemessen, nach dem Wohlbefinden gefragt. Quasi jeder Senior und jede Seniorin hat ein kleines Gesundheitsbüchlein, wo alles festgehalten wird, und wenn etwas nicht stimmt, werden Arzttermine vereinbart. Allerdings erzählten mir die Senioren auch, dass mit Die weintraubenähnlichen Algen sind eine Delikatesse der Insel.Foto: © sommai – stock.adobe.com 65 noch niemand ins Gesundheitszentrum komme, da sei man ja noch viel zu jung. Die Dorfbewohner kommen so ab 85, weil sie dann langsam das Gefühl haben, sie werden wirklich ein bisschen älter. Aber die Menschen kommen dort auch zusammen, unterhalten sich, es gibt Tee und Gebäck, Kindergartenkinder kommen vorbei und es wird gemeinsam Gymnastik gemacht. Bei diesen Übungen saß ich neben einer Hundertjährigen und habe wirklich einige Übungen schlechter zustande bekommen, als sie (lacht), obwohl ich nicht einmal halb so alt bin. Aber ich tröste mich damit, dass sie die Übungen auch häufiger macht. Diese Hundertjährige hat zwar einen Gehstock, aber da habe ich das Gefühl, den hat sie eher aus Prestigegründen. Sie läuft total aufrecht. Diese hochbetagten Menschen sind körperlich in einem extrem guten Zustand. Beim anschließenden Tanz hat mich eine 93-Jährige zum Mitmachen aufgefordert und tanzte wirklich noch ganz munter über das Parkett: Also wirklich sehr beeindruckend! Was haben Sie persönlich von der Reise mitgenommen?

SEITE 19 Foto: © Travelina - stock.adobe.com leben weltweit die meisten Hundertjährigen. fahren. Liegt es an der sagenumwobenen Bittergurke Goya, hlt die Wissenschaftlerin im Interview mit Antje Wegwerth. Foto: © beeboys – stock.adobe.com Das sind tolle, beeindruckende Frauen. Das hat so viel Spaß gemacht, sie zu treffen. Sie sind unglaublich warmherzig. Dabei haben sie so viel Schlimmes erlebt: den Zweiten Weltkrieg, die Schlacht von Okinawa, viel Armut und Überlebenskampf. Und Die Hundertjährige hat zwar einen Gehstock, aber da habe ich das Gefühl, den hat sie nur aus Prestigegründen. Altersforscherin Sabina Misoch über ihre Begegnung mit einer Einwohnerin des Dorfes. doch sind sie einfach zufrieden, mit dem was sie haben und schauen nicht immer, was könnte ich noch haben, weswegen könnte ich jetzt unzufrieden sein. Als ich dort war, ist kurz zuvor wieder ein schlimmer Taifun über das Dorf geweht und hat vieles verwüstet. Das wird dann einfach so akzeptiert. Das ist jetzt so. Es kommen ja ständig Taifune vorbei, das war der, ich weiß nicht, 23ste in der Saison. Dann zieht man eben die Bäume wieder neu und versucht das Beste daraus zu machen, bis der nächste Taifun kommt. Sie haben eine andere Ruhe in sich, die Dinge, die passieren, passieren halt. Ich finde, sie haben einen guten Umgang damit. Wie lebt denn die junge Generation auf Okinawa? Okinawa hat 1,4 Millionen Einwohner, aber es ist eben auch eine Insel, auf der es zwar überraschend viele Universitäten, aber wenige Arbeitsplätze gibt. Viele junge Menschen verlassen deshalb die Insel und gehen in die Städte auf Honshu, viele bleiben aber auch noch auf Okinawa. Hat die junge Generation eine ähnliche Haltung zum Leben wie die Alten auf Okinawa? Die nächste Generation zeigt nicht mehr diesen Lebensstil und ernährt sich auch nicht mehr so. Ich denke, dass sich deshalb diese hohe Lebenserwartung relativieren wird und die nächste Generation wohl nicht mehr so langlebig sein wird. Sind Erkenntnisse, die Sie auf Okinawa sammeln konnten, auf die Schweiz übertragbar? Also für mich war wichtig zu schauen, gibt es Faktoren neben der Ernährung und vielleicht Genetik, die wichtig für eine Langlebigkeit sein könnten. Wir planen eine Studie mit Hochaltrigen in der Schweiz durchzuführen, dafür waren die Interviews auf Okinawa so etwas wie der Anfang. Ihre Studie ist demnach noch nicht abgeschlossen. Können Sie trotzdem schon eine Vermutung äußern? Die Studie in der Schweiz muss erst noch bewilligt werden. Aber ich nehme an, dass ein Faktor, der sich auch bei uns als extrem wichtig herausstellen wird, der Lebenssinn ist. Wenn ich weiß, wozu ich jeden Tag aufstehe, wozu ich weiterlebe. Wobei Lebenssinn für jeden etwas ganz Unterschiedliches sein kann, die Enkelkinder, die Familie, der Garten... Wichtig ist, dass ich etwas habe, was mir am Herzen liegt, was mein Leben dann wirklich auch mit Sinn füllt. Bis zur Rente wird dies ja ganz entscheidend durch die Erwerbstätigkeit geprägt. Wenn es mir auch danach gelingt, ein sinnerfülltes Leben zu führen, habe ich zum einen eine andere Lebensqualität im Alter und wahrscheinlich auch eine bessere Chance zufrieden alt und hochalt werden zu können. Kontakt zur Autorin a.wegwerth@nordkurier.de Forscher auf der Spur des langen Lebens Die Professorin und Altersforscherin Sabina Misoch von der Fachhochschule St. Gallen in der Schweiz und der japanische Mediziner Makoto Suzuki erforschen auf Okinawa das Geheimnis des langen Lebens. Makoto Suzuki ist bereits vor 40 Jahren das hohe Alter der Inselbewohner aufgefallen. Er begann unter anderem damit, die Ernährungsgewohnheiten der Menschen zu studieren. Die Altersforscherin Sabina Misoch vermutet auch in der Lebenseinstellung der Menschen einen Grund für ihr langes Leben und hat auf der Insel explorative Interviews geführt. Foto: © Sabina MISOch Gespräche mit den Weltmeistern des Lebens Marcus Lauk hat die 100-Jährigen dieser Welt auf drei Kontinenten besucht. Auf seiner zweijährigen Reise studierte er ihre Lebensweise, nahm ihre Ernährung unter die Lupe. Im Gespräch mit Gerlinde Bauszus verriet der Gesundheitsforscher, was wir von diesen Menschen lernen können. Neubrandenburg. Gibt es eine Formel für ein langes Leben? Dieser Frage ist der Gesundheitsforscher Marcus Lauk auf seinen Reisen zu Hundertjährigen in verschieden Teilen dieser Welt nachgegangen. Er war auf der griechischen Insel Ikaria, auf der italienischen Insel Sardinien, der japanischen Insel Okinawa und in der kalifornischen Stadt Loma Linda. An all diesen Orten leben auffällig viele hochbetagte Menschen. Nach seiner Reise hat er mit dem Nordkurier über seine Erfahrungen gesprochen, die er auch in einem Buch festgehalten hat. Er habe schon bald die Erfahrung machen müssen, dass es die eine und einzige Formel nicht gibt, erzählt Marcus Lauk. „Ich habe viele unterschiedliche Wege kennengelernt, wie man ein langes Leben erreichen kann. Auffallend war, dass insbesondere die 100-jährigen Menschen nicht versucht haben, irgendjemand anderes zu sein. Und wenngleich ein jeder sein Päckchen zu tragen hatte, war es spannend für mich zu erleben, wie sie damit umgehen und das Leben genießen.“ Persönliche Überzeugungen schon bald über Bord geworfen Die Begegnungen mit diesen Menschen stellten auch bald seine Vermutungen infrage: „Während meiner Reise erkannte ich zum Beispiel, dass meine Lieblingsthemen Ernährung und Bewegung sicher ganz wichtige Faktoren sind, ich habe aber auch gelernt, wie extrem wichtig es ist, sozial verbunden zu sein – sich in der Gesellschaft gehalten zu fühlen, Freunde zu haben. Seit meiner Reise zu den Hundertjährigen pflege ich mein soziales Netz nicht nur bewusster, sondern gestalte es aktiv“, sagt er. Okinawa ist ihm in besonderer Erinnerung geblieben, weil dort sehr viele Menschen ausgesprochen lang leben. Doch was machen sie anders als andere? „Dort haben sehr viele Leute, unabhängig von ihren Jobs, einen Nutzgarten, in dem sie regelmäßig Buchautor und Gesundheitsforscher Marcus Lauk Foto: Draksal FachverLAG arbeiten.“ Auch weil sie ihn wirklich brauchen, denn viele Menschen sind eher arm als reich. Man könnte sagen, „wer wenig Geld hat, wird automatisch dazu verführt, gesund zu leben, weil viel frisches Gemüse aus dem eigenen Garten auf den Tisch kommt.“ Ansonsten seien es eigentlich immer die gleichen Prinzipien: Relativ wenig essen in guter Qualität, regelmäßige Bewegung, aber nichts übertreiben, stabile soziale Kontakte, Traditionen pflegen, etwas an andere weitergeben. Und wie die Altersforscherin Sabina Misoch vermutet auch Marcus Lauk im Lebenssinn einen ganz wichtigen Schlüssel zu einem langen Leben. Es geht darum, „einen Grund zu haben, auch im Alter noch morgens aufzustehen – ob Enkel, Job oder Verein“. Marcus Lauk ist von dieser Reise mit der Erkenntnis zurückgekehrt, dass es keine Zauberformel gibt, wohl aber vier Lebensbereiche, die stimmen müssen: Ernährung, Bewegung, Psyche und Umfeld. Kontakt zur Autorin g.bauzsus@nordkurier.de Das Buch von Marcus Lauk „Steinalt und Kerngesund: 100 Jahre erfüllt leben“ ist im Draksal Fachverlag erschienen. Es hat 224 Seiten und kostet 19,90 Euro. ISBN-10: 3862431061

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